PIZZAWÜRSTELS PRIVAT

“Do you know Mettigel?” – Carlos Debüt im Rheinland

1. August 2016
Mettigel Mett Snack

Mein italienischer Freund trifft auf einer Feier in der tiefsten rheinischen Provinz auf meine Verwandtschaft und die neugierigen Nachbarn. Als größter Helfer der Völkerverständigung bewährt sich an diesem Abend: Alkohol.

“Gab’s denn keine Deutschen mehr?”

„Gab‘s denn keine Deutschen mehr?“ seufzte mein Vater in den Hörer, als ich ihm von meinem neuen Liebesglück berichtete. Er sagte es diesem elternhaften Ton: vorsichtig besorgt, um vorzufühlen wie dünn das Eis ist, auf dem er sich gerade bewegt. Zugleich aber scherzend, um sich nach einer eventuell empörten Reaktion in ein „War doch bloß ein Witz“ zu retten. „Die hab ich schon alle durchprobiert, Papa. Die taugen nix. Jetzt sind halt die Italiener dran“, konterte ich. Noch ein Seufzer. „War doch bloß ein Witz. Du weißt genau, dass Mama und ich nichts gegen Ausländer haben. Hauptsache du bist glücklich.“

Promotionsfeier als Ausrede

Ein Jahr später sitze ich mit meinem Ausländer im Zug Richtung Heimat. „Wir haben eine kleine Feier mit den Nachbarn organisiert, für deine Promotion“, teilten mir meine Eltern eine Woche vorher mit. In meinem Eifler Heimatdorf wird Nachbarschaft noch zelebriert. Geburtstage, Beförderungen, Pensionierungen, sogar die Anschaffung eines neuen Grills begießen meine Eltern und ihre Freunde gerne mit Alkohol. Auch nimmt man regen Anteil am Leben der Nachbarschafts-Kinder. Neue Jobs, neue Beziehungen, neue Autos der Sprößlinge werden über den Gartenzaun hinweg diskutiert. Daher habe ich meine Eltern im Verdacht, dieses Treffen eingefädelt zu haben, um meinen italienischen Freund zu präsentieren. „Carlo muss unbedingt mitkommen! Das wird bestimmt lustig“, sagte Mutter am Telefon. Das wird das absolute Grauen, dachte ich.

Ein ruhiger Abend? Niemals!

Carlo sitzt neben mir, das Deutsch-Buch auf dem Schoß. Wir sprechen Englisch miteinander, doch zum Familienbesuch bemüht Carlo seine Deutschkenntnisse. Die werden ihm heute nicht helfen. Zwar können meine Eltern Hochdeutsch, aber im Rudel verfallen sie in einen Dialekt, den selbst ich nicht mehr verstehe. Ich setze gerade zu einem „no worries“ an, als mein Handy klingelt. Mutter erklärt mir zum siebten Mal die Abendplanung: Vater holt uns am Bahnhof ab, wir hetzten nach Hause, essen schnell (Nudeln für den Italiener, Schnittchen für die Gäste) und dann kommen auch schon die Leute. Alles generalstabsmäßig durchgeplant. Da geht es um Sekunden. Selbst zum Duschen bleibt keine Zeit. Ich rolle mit den Augen, Carlo lacht: „Ische mage die Eltern. Iste nur eine kurze ruhige Abend“.

Ein kurzer ruhiger Abend wäre allerdings mal etwas Neues. Eine internationale Beziehung ist ein nie versiegender Quell an Slapstick-Momenten. Während des ersten Besuchs bei Carlos Eltern hatte ich die Wahl: Essen oder Konversation. Also verspeiste ich unter den Augen der gesamten „famiglia“ ein Sieben-Gänge-Menü. Kurze Zeit später würgte ich das piemontesische Nationalgericht, eine Knoblauch-Sardellen-Paste namens Bagna Cauda, wieder hoch. Hinter der Gran Madre-Basilika in Turin. Das rheinische Nationalgericht, geriebene Kartoffeln mit Speck und Apfelkompott, Döppekooche genannt und von meiner Oma zubereitet, bescherte Carlo eine Nacht umgeben von deutschem Porzellan. Ich bin gespannt, was uns diesmal erwartet.

„Dat is‘ ga kääne Italiäner! Fussisch is‘ er!“

Zehn Minuten nach Betreten meines Elternhauses stehen wir  im Wohnzimmer, umringt von Onkel und neu angeheirateter Tante, Patentante und Patenonkel, Großmutter, den vier besten Freunden und Nachbarn meiner Eltern sowie meinem Sandkastenfreund (der Nachbarssohn).

Fuchs Wilder Fuchs Fuchs bellt

Fussiger Fuchs – daher wahrscheinlich kein Italiener…

Den Begrüßungssekt in der Hand schaut Carlo etwas verloren aus, während ich Umarmungen und Glückwünsche entgegennehme. Onkel – bereits das dritte Bier am Hals – fixiert mich über den Rand seiner Brille: „Dat is‘ ga kääne Italiäner!“ sagt er mit Seitenblick auf Carlo, „der is‘ zu groß. Und fussisch is‘ er! Ruude Haar“. Irgendwie scheint das rotblonde Haar („fussisch“ = fuchsig) meines Freundes alle zu enttäuschen. Meine Eltern waren bei der ersten Begegnung auch ganz traurig, das Klischeebild eines kleinen, dunkelhaarigen Italieners, der Pizzateig schwingt und „O sole mio“ pfeift, nicht bestätigt zu sehen. Deshalb hatte ich Carlo gebeten sich die Haare zurückzugelen, etwas Brusthaar zu zeigen und ein Goldkettchen umzuhängen. Wollte er nicht. Nun muss er meinem Onkel – bierbäuchig und mit Säufernase der Prototyp eines Deutschen – erklären, warum er nicht italienischer aussieht.

Die Stehparty wird schnell zur Sitzparty. Frischkäse- und Kartoffelsalat-Schnittchen türmen sich neben Bierflaschen und Sektgläser auf dem Wohnzimmertisch. Es ist sehr laut. Bei mir daheim redet man nicht, nein, man versucht sich zu überbrüllen. Ich hatte meinen Freund gewarnt, doch der meinte, die Italiener hätten ein Monopol auf Lautstärke. Jetzt schaut er mich schockiert an. Auf das Thema angesprochen wird mein Vater morgen beim Frühstückstisch mit einer wegwischenden Handbewegung sagen: „Ach was, das sind nicht wir. Das ist die Akustik vom Raum. Seit da die Fliesen drin sind ist das einfach lauter.“

Der neuste Klatsch wird ausgetauscht und zwischendurch bemüht man sich, Carlo mit einzubeziehen. Oma will wissen wie es ihm hier gefällt: „Bie jefällt et dir da hei?“ brüllt sie ihm ins Ohr. Carlo schaut mich hilflos an. „Oma“, versuche ich zu vermitteln, “Hochdeutsch!“. Oma schaut mich hilflos an. Onkel, der Gefallen an dem „ruude Italiäner“ gefunden hat, springt meinem Freund zur Seite: „Der Jung‘ verstäht dat schunn! Der hat wat im Kopp! Ne Jung‘!“, er schlägt ihm auf die Schulter, „mir unnerhaale us joot!“.

Nach einer Runde Schnaps, die mein Vater zur allgemeinen Völkerverständigung ausschenkt, muss ich zugeben, dass sie sich anscheinend wirklich gut unterhalten. Carlo punktet bei den Männern damit, dass er ein deutsches Auto fährt („Sinde die beste, die deutsche Autos!“) und schleimt sich bei den Frauen mit Urlaubstipps zur nächsten Italienreise ein.

„Ääner jäät noch!“

Bessere Völkerverständigung dank Selbstgebrannten

Bessere Völkerverständigung dank selbstgebranntem Schnappes

Mit steigendem Alkohol- und Lautstärkepegel fühle ich mich immer wohler. Man kann seine Wurzeln einfach nicht verleugnen. Ein Gemisch aus verzweifeltem Hochdeutsch, rheinischem Platt, rudimentärem Schulenglisch und lautem Lachen erfüllt das Wohnzimmer. Oma berichtet begeistert, dass „Kaahlo“ ihr Döppekooche beim ersten Besuch so gut geschmeckt hat, dass er soeben nach dem Rezept gefragt hat (dieser Fuchs!). Die Frauen, inklusive Mutter, diskutieren lautstark über das Klischee des männlichen Südländers („Isch hann jehüürt die sin so joot im Bett. Wat sachst dau dann dazo?“) bis Onkel die Kakophonie mit ungeahntem Sprachtalent übertönt: „Carlo, do you know Mett-Igel?“. Kennt er nicht. Doch bevor mein Onkel zum Kühlschrank stürmen kann, um diese urdeutsche Spezialität, die sich durchaus „mit Antipasti, oder bie dat Zeusch hääßt“ messen kann, zusammenzustümpern, drängt meine Tante zum Aufbruch.

„Aber ääner jäät noch!“ grölt Vater.

Wir heben also alle das Schnapsglas und Carlo, eingekeilt zwischen meinem Vater und dessen Bruder, ruft betrunken aber äußerst gut gelaunt „Salute!“.

Elf Rheinländer und ein Italiener werfen unisono den Kopf in den Nacken und kippen den Schnaps hinunter.

Ja, tatsächlich, einer geht noch.

Dann reicht’s aber.

 

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