Endlich ist es soweit: Heute findet das Slow-Food -Event Salone del Gusto zum ersten Mal auf den Plätzen Turins statt. Die Welt gibt sich ein leckeres Stelldichein entlang des Flusses Po, in der Altstadt, im königlichen Garten, im Schlosshof, in Museen und Bars. Kurz: die ganze Stadt ist auf den Füßen um gutes Essen zu feiern.
Vorbereitungs-Stress
Der Tag beginnt denkwürdig: Carlo treibt mich an. Ich muss das umformulieren: CARLO treibt MICH an! „Wir müssen in 15 Minuten fahren, sonst verpassen wir den Zug“, sagt der Mann, der mit mir oder mit Gästen mehr als ein Mal Bussen und Zügen hinterhergefahren ist, weil er immer erst kurz vor knapp mit einem „kein Stress, das schaffen wir schon“ losfährt. „Beeil dich, wir müssen noch einen Parkplatz suchen und das Zugticket kaufen“, sagt der Mann, für den ich mich mehrmals beim Kinderarzt entschuldigen musste, weil er mit Primo grundsätzlich zu spät zu den Terminen kommt, da er es nicht einsieht, zehn Minuten für die Parkplatzsuche in der Stadt zu veranschlagen. „Kannst du nicht im Zug auf Toilette gehen?“ sagt der Mann, der immer immer noch mal schnell ins Bad verschwindet, wenn wir eigentlich schon längst im Brunch-Lokal sein müssten. „Noch 10 Minuten … noch 5 Minuten … wir müssen JETZT los!“ drängelt der Mann, den ich sonst vor jeder Verabredung auszählen muss wie ein Ringrichter den am Boden liegenden Boxer.
Nunja. Um es kurz zu machen: Wir kamen pünktlich an. Wir hatten sogar vier Minuten auf dem Bahnsteig, ehe der Zug einrollte. Das ist mir noch nie passiert, wenn ich mit Carlo unterwegs bin! Daran könnte ich mich gewöhnen…
Food-David gegen Kapitalisten-Goliath
Im Zug nach Turin erzählte mir Carlo zum gefühlt hundertsten Mal, warum der Salone del Gusto dieses Jahr inmitten der historischen Stätten, statt wie üblich in einer tristen Messehalle stattfindet. Eine Art David-gegen-Goliath Geschichte: David (verkörpert vom Salone del Gusto-Komitee) war von der Idee beseelt seinem Gourmet-Volk Zugang zu allen Leckereien zu beschaffen. Er kämpft gegen den erzkapitalistischen Goliath (Messehallen-Besitzer), der für die Leckereien-Ausstellung Unsummen fordert. „Die Dreifache Pacht!“ ereifert sich Carlo. Doch David erhält Hilfe von den ihm wohlgesonnenen Turiner Stadtverwaltern, die den Umzug des Salone del Gusto in die Turiner Altstadt, Parks, Museen und ans Flussufer erlaubt. Kostenfrei. Und so kriegt Goliath statt der Dreifachen nun gar keine Pacht, und Davids Jünger dürfen vortan in schönster Kulisse, dem gemeinsamen Speisen frönen. Toll. Mein Mann hat Tränen der Rührung in den Augen.
Der perfekte Plan
Nach 30 Minuten Fahrt sind wir da: Valentino Park. Heute beherbergt die riesige Grünanlage rund um das Schloss 800 Food-Aussteller aus 55 Ländern, wobei Italien als Slow-Food-Ursprungs- und Gastgeberland stolz alle seine 20 Regionen aufmarschieren lässt. Wir straffen den Rucksack, ziehen die Sonnenbrillen auf und marschieren ein in die weiße Zelt-Allee. Erste Station: Basilicata. Von dort aus probieren wir uns durch den Süden: Kalabrien, Molise, Sardinien, Apulien und Sizilien. Der Plan sieht vor, dass wir dann langsam am Po entlang den Rundgang machen, uns am nachmittag an der Via Po die „Eisstraße“ (Via del Gelato) entlangnaschen und abends am Murazzi del Po noch die Street Fodd-Wägen und Italian-Craft-Beer-Aussteller abklappern. Das stellte sich als etwas überambitioniert heraus…
200 Meter in zwei Stunden
Ich habe nicht mit der Manie dem Enthusiasmus meines Mannes gerechnet. Wir hatten Basilicata kaum betreten, als er „Oh mein Gott!“ ausrufend zum zweiten Stand lief um dort alle Käsesorten und den Prosciutto zu probieren, mit dem Anbieter fachzusimpeln und zu guter Letzt ziemlich viel Geld für fünfzehn Zentimeter Schinken (Coppa) auszugeben. So ging das weiter. Wir mischten uns unter das Publikum, das hauptsächlich aus Schulklassen und Rentner bestand. Letztere waren auffällig oft mit großräumigen Hackenporschen ausgestattet, wie Carlo neidisch bemerkte. Tatsächlich war unser Rucksack nach 200 Wegmetern schon voll und unser Budget nahezu erschöpft.
Gekostet haben wir diverse Pecorino-, Caciacavollo- & Provolone-Sorten, Burrata und Mozzarelle, Bergamottensaft mit und ohne Zucker (der Renner! Ich prophezeie dem Bergamottensaft eine große Karriere als sommerliches In-Getränk!), Öl an drei Ölständen, diverse Grissini und Brothäppchen und Sardellen. Da diese Probierhäppchen Carlo nicht ausreichten, kaufte er sich noch eine Schinkenplatte, Porchetta-Panino, Cannoli (mit zuckrigem Ricotta gefüllte Teigröllchen), Arancini (frittierte Reisbällchen mit Erbsen/Fleisch/Käse-Füllung) und Granita. Die schon lange fällige Slow-Food-Mitgliedschaft haben wir auch abgeschlossen und gleich noch ein paar Kochbücher am Slow-Food-Stand mitgenommen.
Hier eine kleine Vermessung der ersten 200 Meter Salone Del Gusto
- Geschwindigkeit: 0,1 km/h
- Kosten auf Zeit: ca 1 Euro/min
- Kosten auf Distanz: ca 60 cent/m
Schon da war mir klar, dass wir unseren Plan nicht einhalten können: zeitmangelswegen, geldmangelswegen, rucksackplatzmangelswegen und magenkapazitätmangelswegen.
Gewissensbisse? Ach, iwo!
Ich war rundherum satt und zufrieden. Der Mann befand sich allerdings in einem hyperaktiven Probier-Modus. Und er bekam auch noch Verstärkung von seinem besten Freund aus Studentenzeiten. Der wurde dann auch erstmal angepumpt, um das Budget zu erweitern. Mit „wir waren ja dieses Jahr gar nicht in Urlaub“, „Der Salone del Gusto ist nur alle zwei Jahre“ und „nächsten Monat wollten wir eh nur Salat essen“ überzeugte der Mann sich, dass es in Ordnung sei, den Gegenwert eines Städte-Trips für Käse und Schinken auszugeben. Gewissensbisse? Ach, iwo! Meine sanfte Gegenwehr wurde mit einem „Was die Discounter-Deutschen in ihr Auto stecken, verfressen wir Italiener halt ungehemmt“ weggewischt.
Italiener in Lederhosen, Öl aus dem Saarland und geräucherter Knoblauch
Afrika durchmaßen wir dann eiligen Schrittes, denn die Herrenrunde – mittlerweile um einen weiteren Studienfreund erweitert – zog es nach Europa, genauer: nach Deutschland, denn: Bier! Bier! Bier! In der deutschen Ecke erwartete uns hinter einem Bierfass ein in Lederhosen gekleideter, beleibter und bebarteter Schankwirt. Die Jungs bestellten auch fröhlich ein „frisch G’zapftes“ (von mir angeleierte kleine Remineszenz an das aktuell stattfindende Oktoberfest). Doch der Bayer war gar kein Bayer sondern ein Italiener, der grade mal so „Danke“ auf Deutsch sagen konnte.
Nach dieser Enttäuschung wandten wir uns dem Nachbarstand zu. Dort warteten ein paar Saarländer auf Kundschaft. Kam jedoch keiner. Was nicht weiter verwunderlich ist: So wagten sie es doch, saarländisches Öl feilzubieten. Dabei war jeder dritte Stand in den Italien-Abteilungen ein Öl-Stand. Eulen nach Athen, sag ich da nur.
Gleich daneben pries ein bärtiger Norddeutscher lautstark und unter Betätigung einer großen Glocke (Kommentar Carlo: “Sogar hier fallen die Deutschen durch Lautstärke auf!”) hinter einem winzigen Stand geräucherten Knoblauch an. Um den Stand hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet, die jedoch ausschließlich aus Deutschen bestand, die ein Kulmbacher tranken.
Den Rest des Tages wurde ich von den Italienern damit aufgezogen, dass wir Deutschen sogar die besten italienischen Produkte wie Öl und Knoblauch verhunzen können und nichts Eigenes auf die Beine bringen. Außer Bier. Aber tatsächlich waren so viele gute Mikrobrauereien aus Italien hier vertreten, dass das deutsche Bier sang- und klanglos unterging.
Food-Brexit
Schon leicht angeheitert kaufte Carlo in Großbritannien dann Stilton und belästigte den armen Verkäufer. Dieser musste sich – sicher nicht zum ersten oder letzten Mal – anhören, dass Stilton das einzig Essbare sei, das das Vereinigte Königreich hervorgebracht hatte. Ich blickte den Verkäufer an und hob mitleidend die Schultern: Italienische Food-Überlegenheits-Gefasel. Man kennt das.
Es folgten ein paar Brexit-Witze über den einsamen britischen Stand, der bloß die Schweiz (vertreten unter anderem durch ein Ricolo-Zelt, aus dem in regelmäßigen Abständen der wohlbekannte Ruf herüberhallte: “Riiiiiiiiiiiiiccccola!”). Der Verkäufer zuckte nicht mal mit der Wimper. Very british.
Brackwasser-Bier aus Australien
Wir schlenderten weiter nach Übersee. Hier scharten sich die Besucher, mittlerweile weniger Rentner und mehr Studenen, um einen australischen Bierstand. Auch meine Begleiter konnten nicht umhin, sich ein weiteres Bierchen zu gönnen. Nach den ersten Schlucken wurde mir wortlos ein Becher weitergereicht und die Herrenrunde waretete auf mein – durch Geburtsrecht gegebenes – Experten-Urteil. Pfui-Teufel! Das perlige Gesöff schmeckt wie Almdudler! Man erklärte mir, dass das Bier aus gefiltertem Meerwasser gebraut und mit Kräuterextrakt versetzt sei, was mich bewog eine Lobesrede auf das deutsche Reinheitsgebot zu halten. Deutsches Bier-Überlegenheits-Gefasel. Man kennt das.
Back to normal
Die Blicke auf die Uhr und in die Geldbörse waren ernüchternd. Schnell verabschiedeten wir uns von der Idee, noch in die Altstadt zu ziehen, langsam verabschiedeten wir uns von den Freunden. Schmerzhaft langsam. Es wurde gedrückt, Küsschen hier Küsschen da, man kam dann doch noch auf Bekannte zu sprechen, scherzte rum, wieder eine abschiednehmende Umarmung, dann doch noch schnell Pläne für die nächsten Tage umreißen, noch mal in Erinnerungen schwelgen wie spontan man sich damals immer hier und dort getroffen hat, vielleicht doch noch ein Bierchen jetzt? So jung kommt man doch nie wieder… und ich fiel zurück in die altbekannte Rolle des preußischen Ringrichters: „In 15 Minuten fährt die Straßenbahn“, „In 40 Minuten geht der Zug!“ … und Carlo, satt und träge, noch ein letztes „Ciao“ noch ein letztes Anekdötchen und trottete dann missmutig hinter mir her.
Und natürlich verpassten wir die Tram. Und somit den Zug. War beinah schön, wieder in alte Rollen zurückzufallen. Noch schöner wäre es jedoch gewesen, pünktlich zuhause zu sein.
2 Comments
Mir lief das Wasser im Munde zusammen!
Und die Mundwinkel waren durchgehend nach oben gebogen, ob der heiteren Schreibweise. Sehr schön zu lesen.
Was ich hingegen anders gemacht hätte: der Anfang und der Hauptaugenmerk gehören natürlich dem Eis und den süßen Sachen! 😉
Vielen Dank! Schön, dass es dir gefallen hat! Und genau das wollte ich auch erreichen: bissl informieren, bissl unterhalten und ganz viel Lust machen auf selber hinfahren und gucken, essen, trinken.
Und bzgl süße Sachen und Eis: Wir sind tatsächlich heute nochmal nach Turin gefahren und haben uns durch den Rest von Italien gefressen. Dabei hab ich mich an die Süßigkeiten gehalten (und dem Mann verboten noch mehr Käse und Schinken zu kaufen). Die Eis-Straße haben wir aber wieder nicht geschafft. Naja… in zwei Jahren dann! 🙂