REISEN & SPEISEN IM PIEMONT

Der Ricottakönig

24. October 2016
Käsestand des Re della ricotta

Ich lernte den Ricottakönig Anfang August kennen. Auf einem kleinen unscheinbaren Sonntagsmarkt im Dörfchen Buttigliera, inmitten der Provinz Asti.

Im Käseschlaraffenland

Cannoli sizilianische frisch

Der Ricottakönig bei der Arbeit: Cannolihülsen mit zuckrigem Ricotta befüllen.

Seelenruhig steht Seine Majestät hinter dem gelben Marktstand, spritzt zuckrige Ricotta in Gebäckhülsen und referiert über Käse. Und über Chemie. Und über das Leben. Die Liebe. Alles.

Sanft drängt er der Kundin noch ein Probierhäppchen hiervon („weltbester Provolone“) und davon („Pistazien-Joghurtcreme ohne Fett!“) auf, liest langsam das Schild vor, das aufzählt was alles NICHT in seinem Käse ist, zieht das blaue Arbeitsshirt gerade, stellt den Stehkragen auf, teilt Mozarellastückchen an die Wartenden aus und hat einfach die Ruhe weg. Königliche Gelassenheit, obwohl sich noch weitere fünf Kunden um seinen kleinen Stand drängen. Wir stellen uns gerne an und genießen das Schauspiel.

 

Warten auf den König

Kunden vor Käsestand Re della Ricotta italienischer Käse

Königliche Unterhaltung und königlicher Käse. Da wird das Warten zum Event.

Als wir dann endlich an der Reihe sind (nach 20 Minuten bester, nein, königlicher Unterhaltung!) lassen wir uns von Seiner Majestät alles mögliche aufschwatzen: Scamorza, Anekdoten, seine Lebensgeschichte. Dabei wollten wir doch nur etwas Toma kaufen – der typische Käse aus Norditalien.

Schon auf dem Heimweg überlegen wir, ob es uns wohl gelingt, die soeben erworbenen sieben Kilo (!!!) Käse innerhalb einer Woche zu verspeisen, so dass wir nächstes Wochenende wieder einen Grund haben, dem König des Käseschlaraffenlandes einen Besuch abzustatten. Er hatte uns nämlich mit frischer Burrata gelockt. Burrata ist ein so dermaßen cremiger Mozzarella, dass beim Anschneiden eine halbflüssige Mozzarellamasse herausfließt und allein der Anblick der Leckerei Arterien verstopft.

Sieben Kilo Käse pro Woche? No problemo!

Sizilianische Spezialität Cannoli

Hilft gerne beim Cannoli-Vernichten: Primo

Wie sich herausstellt ist es kein Problem sieben Kilo Käse innerhalb einer Woche zu verspeisen. Insbesondere wenn sich darunter sechs Cannoli befinden (angeblich die Lieblingssüßspeise aller Italiener – mein liebstes Dolce ist das sizilianische Zuckerwerk auf jeden Fall). Auch der Sohn unterstützt uns hingebungsvoll in unserem Cannoli-Vernichtungsfeldzug…

Der Käse und insbesondere die Cannoli kamen so gut an,  dass wir am darauffolgenden Sonntag mit dem Auftrag losgeschickt werden, ein Dutzend der süßen Röhren mitzubringen. Wir statten Seiner Majestät also wieder einen Besuch ab.

Und wieder. Und wieder.

Und so wird die Audienz beim Ricottakönig zu unserem festen Sonntagstermin. Und jedes Mal gab es etwas Neues: eine neue Creme, frischen parmesanartigen Käse, eine neue Geschichte. Und zur letzten Audienz vor unserer Heimreise in die Käsewüste Deutschland serviert Ihre Majestät uns nicht nur die süßen und ricottagefüllten Gebäckhülsen, rauchigen Scamorza und buttrige Burrata, sondern auch seine Lebensgeschichte:

Es war einmal…

Valeriano Zanetti verfiel früh der „arte bianca“, der weißen Kunst des Bäcker-und Konditorhandwerks.  In den 80er Jahren besuchte er eine Scuola di Pasticceria. Er fand jedoch schnell heraus, dass ihm der Arbeitsbeginn um 3 Uhr morgens so gar nicht behagt. Sowieso war er schon damals dem Fettigen mehr zugetan als dem Trockenen und wechselte den Kunststil, blieb aber dem Weiß treu: vom Mehl zur Milch.

Zunächst war der Ricottakönig freilich noch kein König sondern ein Vasalle. Er bereiste für bekannte Käseproduzenten das Land und vertrieb deren Produkte.Doch je länger er den „Chemiekäse“ vertreiben musste, desto angeekelter war er davon.

„Die machen Käse aus Chemie. Industriecasein statt Vollmilch. Che schifo!“

Käse ohne Konservierungsstoffe frisch gemacht

Des Königs ganzer Stolz: Käse ohne Schweinekram. Nur mit Milch. Hier eine Auflistung, was alles NICHT im Käse ist.

Im Jahr 2005 gründete Valeriano sein Geschäft: MARIA DELLA STELLA. Zunächst belieferte er kleine Shops und Pizzerien in und um Turin mit den typischen Verbrauchsprodukten: Mozarella. Doch bald kam die Krise und die Pizzerien zahlten den gelieferten Käse nicht mehr.

Da nahm der Ricottakönig das Zepter selbst in die Hand. Von nun an wollte er nur noch das verkaufen, was er selbst herstellt. Nicht immer nur den gleichen ollen Käse, sondern alles, was ihm Spaß macht. Und zwar ohne Chemie. Und auch nicht an die Pizzerien, die experimentierunfreudig sind, sondern an echte Kunden auf dem Markt.

Käserevolution

Dafür musste er aber wieder um drei Uhr morgens aufstehen, um den Käse zu machen, der dann frischer-gehts-nicht ab 8 Uhr auf dem Markt verkauft wird.

„Aber ich hatte trotzdem noch Zeit drei Kinder zu machen,“ sagt der König.

Frischer Toma vom Ricottakönig

Die piemontesische Käsespezialität Toma. Vom Ricottakönig.

Mittlerweile bietet der “Re della ricotta” in fünf Markt-Trucks und in seiner Käserei in Turin seine Produkte an. Und da ein König niemandem Rechenschaft schuldet, gibt es nicht nur die typischen Verbrauchskäse Mozzarelle und Parmesaniges (der zwar Parmesan ist, aber nicht so genannte werden darf, da der Name Parmesan geschützt mit einem EU-Gesetz geschützt ist und nur für den Parmesano-Reggiano benutzt werden darf…). Sondern allerlei Spielereien. Pasticceria-style.  Nuss-Joghurt-Creme, Ricotta aus bester Milch, Gorgonzola-Creme, Parmesan-Chili-Creme, Scamorze mit Speck, verschiedene Toma und süditalienische Spezialitäten wie Stracciatella und Burrata und natürlich Cannoli.

Valeriano bekommt seine Milch aus einem Stall und analysiert sie selber in seinem Labor. Tausend Liter pro Tag verarbeitet er zu etwa 100 Kilo Käse. Dabei ist es dem Ricottakönig wichtig so wenig Fett und Zucker wie möglich zu benutzen. Und keine Konservierungsstoffe. Auf gar keinen Fall Konservierungsstoffe. Und den Kunden gefällt’s.

„Mein Käse macht dich gesund und leicht. Je mehr du isst, desto leichter fühlst du dich! Das ist meine Käserevolution.“

Und so steht der Ricottakönig seit nunmehr zehn Jahren fast jeden Tag auf dem Markt, schneidet in aller Seelenruhe Käseschnitze zum Probieren, spritzt die frisch hergestellte Ricottacreme in die Gebäckröllchen, verpackt Mozzarelle, Burrate und Stracciatella in kleine Plastikboxen, rückt sich die Kappe zurecht und referiert über Chemiekäse und echten Käse, seinen Käse. Und zwar ausgeruht. Denn mittlerweile bleibt der König liegen und lässt frühmorgens um Drei käsen. Am meisten genießt er es, sein Produkt selbst zu verkaufen. Er sucht die Volksnähe.

Un assagio vale piu di 1000 parole - Ein Probehäppchen zählt mehr als tausend Worte!

Un assagio vale piu di 1000 parole – Ein Probehäppchen zählt mehr als tausend Worte!

Demokratisch gewählter Monarch

Denn den Namen, den seine Verkaufskluft ziert, den haben ihm die Kunden gegeben. Er ist ein demokratisch gewählter „Ricottakönig“. Das ist ihm wichtig. Denn wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich einen anderen Namen ausgesucht.

„Ich bin der Che Guevara del formaggio“

Caseificio Käsehersteller Markt Ricottakönig Cannoli

Ricottakönig Valeriano Zanetti und sein Helfer Stefano. Man beachte den großartigen tricoloren Stehkragen! Bella figura.

 

Ob nun “Re della ricotta” oder Rebell del formaggio. Der Käse ist göttlich. Wer also jemals in Turin oder Umgebung ist: unbedingt Valeriano Zanetti und seinem Käseschlaraffenland einen Besuch abstatten. Auf dem Markt in Buttigliera d’Asti ist er Sonntagsmorgens anzutreffen. Und an allen anderen Tagen auf Turiner Märkten. Für Privataudienzen ist der Käserei-Palast in der Via Scriva 13 in Cascina Vica (Rivoli)/Turin jeden Samstagmorgen von 8.30 bis 12.30 Uhr geöffnet.

Beim nächsten Heimaturlaub werden Carlo und ich Zanettis Käserei auf jeden Fall einen Besuch abstatten. Und kiloweise Cannoli kaufen…

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