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Buchrezension: Tante Poldi und die sizilianischen Löwen

31. October 2016
Tante Poldi und die sizilianischen Löwen. Ein Krimi mit vino amore mangiare und blut

Tante Poldi, leidenschaftliche Rotweinalkoholikerin, will sich in Sizilien tottrinken. Doch ein Mord weckt ihre Lebensgeister. Blut, vino, amore und ganz viel Essen.

Ein Münchner Original ermittelt in Sizilien?

Kann man mehr Klischees in einem Buchcover zusammenfassen? Eine kurvige Dame mit onduliertem schwarzen Haar vorgebeugt in eine Ape (typisches italienisches Lastenwägelchen mit drei Rädern) schauend. Die Weinflasche griffbereit in der Handtasche. Vor Ätna- und Meerkulisse. Darüber der lustig-fesche Titel: „Tante Poldi und die sizilianischen Löwen“.

Bayerische Miss-Marple-Variante-mit-amore?

Och nö, da vergeht mir die Lust, das zu lesen.

Da vergeht mir sogar die Lust, mir Rezensionen durchzulesen.

Tante Poldi ist hartnäckig

Tante Poldi auf dem Nachttisch Nachttischlampe Krimi

Tante Poldi ermittelt auf meinem Nachttisch.

Und dann lag Tante Poldi doch eines abends auf meinem Nachttisch. Weil sie so hartnäckig überall auftauchte: auf Buchblogs, in meiner facebook-timeline, ja sogar offline in meiner Stammbuchhandlung, beim Sitznachbarn im Bus und sogar im Rewe-Markt. Ständig streckt mir Tante Poldi ihr ausladendes gepunktetes Hinterteil entgegen. Da hab ich kapituliert und mir das Buch gekauft.

Läuterung, die erste

Und nun schäme ich mich ein bisschen ob meiner vorurteilsbeladenen Leserzickigkeit. Ich habe mich köstlich amüsiert, und das trotz doch sehr absehbaren Zutaten: ein bisschen famiglia, ein bisschen Mafia, ein bisschen Amore und ganz viel vino und mangiare.

Oder vielleicht habe ich mich gerade deswegen amüsiert?

“Die Poldi”

Wahrscheinlich war es auch hilfreich, dass ich zwei Jahre in München (noch schlimmer: in Schwabing) gewohnt habe und mir lebhaft vorstellen kann, wie „die Poldi“ –  konsequent nach bayerischer Unart mit dem bestimmten Artikel bezeichnet –  als sturköpfige bayerische Urgewalt in die Ätnakulisse eindringt und in Momenten großer Erregtheit mit gottgegebenem Selbstvertrauen die Sizilianer in tiefstem Dialekt niederbayert. Wie sie im sizilianischen Sommer der famiglia ihres verstorbenen Mannes einen zünftigen Schweinbraten auftischt.  Wie sie ihre Macken pflegt und den jungschen Kerlen und Verkehrspolizisten hinterherglotzt. Wie sie zünftig Bier und Wein niederknüppelt. Und wie sie grantelt und sich vollkommen dem persönlichen Leid hingibt.

Denn “die Poldi” ist halt ein Münchner Original, wie es einem dort in fast jeder urigen Kneipe begegnen: Geheimnisvolle Vergangenheit gewürzt mit Alkoholismus, Traurigkeit und einer unshutbaren Klappe.

Dazu ist “die Poldi“ eine imposante Erscheinung und scheut einen guten Auftritt nicht:

„Duftend, im weißen Kaftan, mit dramatischem Lidstrich, tüchtig Rouge und goldenen Riemchensandalen legte sie in der Bar an wie ein Kreuzfahrtschiff in einer Provinzmarina.“

Mord & amore: Tante Poldi ermittelt

Und diese Tante Poldi zieht es also nach dem Tod ihres sizilianischstämmigen Mannes weg aus München, unter den Ätna. Dort, umgeben und umsorgt von sizilianischer Familie, will sie sich zu Tode saufen. Doch immer kommt was dazwischen.

Da wäre zum einen der Mordfall an ihrem jungen knackigen Handwerkerfreund Valentino, der eines Tages verschwindet und als Leiche wieder auftaucht. Die Poldi stellt Nachforschungen an und begegnet dabei einer weiteren Ablenkung vom Säufertod: Commissario Montana. Der Poldi ist‘s nach Aufklärung und amore und dass sie – selbst ist die Frau – beides in die Hand nimmt, sorgt für viele Überraschungen und Verwicklungen, kriminaltechnische und amouröse. Da hat sie gar keine Zeit mehr für den Alkohol.

Der Neffe, äh, Autor

Und dann wäre da auch noch der etwas Neffe, der als Ich-Erzähler die ganze Poldi-Misere dokumentiert. Von Poldis besorgten Schwägerinnen als Wachhund einberufen, fliegt der Neffe regelmäßig aus Deutschland ein und nistet sich im Dachkämmerchen der Poldi ein. Und versucht, den ultimativen buchpreisverdächtigen sizilianischen Familienroman zu schreiben. Gabriel Garcia Marquez-style. Und scheitert. Natürlich. Am Ende kommt ihm die glorreiche Idee, die Abenteuer der Tante aufzuschreiben. Wenig überraschend.

Das ist mir schon zu viel autobiografisches Kokettieren,  da hab ich ja schon fast wieder keine Lust mehr weiterzulesen… so ein einfallsloser Autor (man sieht, ich bin eine zickige Leserin).

Läuterung, die zweite

Tante Poldi Mario Giordano Buchklappe

Tante Poldis Neffe? Autorenfoto Mario Giordano

Und hier erfahre ich auch schon die zweite Läuterung: Der Autor, Mario Giordano, stellt sich nach kurzer online-Recherche (ich hab dann mal gegoogelt…) als erfahrener und leider unglaublich vielseitiger und preisgekrönt heraus: Kinderbuchautor, Drehbuchautor, Filmhochschul-Dozent und Mitglied der Jury des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien zur Kinderfilmförderung.

Und das Autorenbild zeigt: recht ansehbar ist er noch obendrein. Hmpf.

Also gewöhne ich mich an die regelmäßigen Auftritte des Neffen und an dessen Erzählperspektive. Und finde es nach ein paar Dutzend Seiten sogar ganz unterhaltsam.

Fazit

Ich habe laut gelacht, mir ist das Wasser im Mund zusammengelaufen ob der vielen Essensbeschreibungen, ich habe mir zusammen mit Tante Poldi einen Rotwein gegönnt und mir doch tatsächlich ein paar besonders schöne Sätze rausgeschrieben.

Also: absolut lesenswert!

Und ich freue mich darauf, den soeben erschienenen Folgeband „Tante Poldi und die Früchte des Herren“ zu lesen. Dieser zeichnet sich durch ein ebenso kitschigem Italia-Klischee-Cover  aus: Bloß wurde die Ape durch eine Vespa getauscht (falls es einen dritten Band geben wird tippe ich auf einen Cinquecento…). Aber wer hält sich schon an Äußerlichkeiten auf! 🙂 Ich nicht!

 

Gelbe Vespa mit Lesenswert Schild vor dem Tante Poldi Buch von Mario Giordano

Urteil zu Tante Poldi: LESENSWERT!

 

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2 Comments

  • Reply Ines 2. November 2016 at 21:09

    Habe es vor einer Weile als Hörbuch gehört so nebenbei beim Auto fahren und fand es auch ganz angenehm. War mit dem Neffen etwas großzügiger, da er mir ein wenig leid tat, wie er da so neben seiner Tante verblasste. 😉
    Den zweiten Teil würde ich mir auch wieder auf einer Autofahrt gönnen und deshalb beim Hörbuch bleiben…vor allem, wenn es wieder so angenehm gesprochen wird.

    • Reply Frau Pizzawuerstel 4. November 2016 at 10:04

      Ja, du hast recht. Der Neffe verblasst neben der Poldi. Aber neben dieser Erscheinung würde glaube ich jeder verblassen :). Leider bin ich mit Hörbüchern nie warm geworden. Vielleicht versuche ich es bei der nächsten langen Fahrt nach Italien mal! Obwohl…dann müsste Primo auf seine geliebte RitterRost-CD verzichten. Ob das klappt?

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