Meine Schwiegereltern trinken jährlich 312 Liter Rotwein. Da möchte man doch wissen, wo der herkommt. Ein Besuch bei Weinbauer Stefano Rossotto, der mit seinen Söhnen preisgekrönte Weine produziert und eine alte Farm zu einem traumhaften Agriturismo umbaut.
Als biersozialisiserter Rheinländer im Rotweinland
Als Rheinländer bin ich mit Bier aufgewachsen. Natürlich zunächst passiv (das allabendliche Bier meines Vaters) und später aktiv selbsttrinkend. Zum geselligen Zusammensein der Erwachsenen gehörten Stubis unbedingt dazu. Bitburger (kann man mögen, muss man aber nicht). Wein gab es zuhause nur bei Feierlichkeiten, heimlich, in kleiner Runde: zu Weihnachten, zum Geburtstag, zur bestandenen Prüfung. Man mochte ja nicht als schnöselig gelten.
Und dann habe ich mir eine italienische Familie angeheiratet, aus DER Weinregion Italiens: dem Piemont. Und war doch sehr erstaunt, dass dort mittags, abends, wochentags, sonntags, feiertags eine pintone – die für den Piemont typische bauchige grüne Zwei-Liter-Flasche Rotwein – auf dem Tisch steht.
A liter a day…
Mein Schwiegervater rückt zwei Mal im Jahr mit vier großen damigiane (rustikal anmutende Ballonflaschen im Korb, von denen jede 54 Liter fasst) aus, um in seinem Stammweingut “Rossotto” Rotwein zu kaufen. Dieser wird dann aus den Ballonflaschen in den Keller geleitet, wo er in stundenlanger Arbeit in die unzähligen, im Laufe eines ganzen Lebens gesammelten pintone-Flaschen abgefüllt wird.
Ich habe das mal nachgerechnet: Jährlich sechs Ballonflaschen, das macht 324 Liter Rotwein. Das entspricht einer Flasche plus ein halbes Kölschglas Rotwein am Tag. Jeden Tag! Jahrelang!
“Ohne Wein kann ich nicht essen”,
sagt mein Schwiegervater. Das muss also ein guter Wein sein, dessen man nicht so schnell überdrüssig wird. Und das ist er tatsächlich! Das machte mich dann doch recht neugierig auf das Weingut.
Weingut Rossotto
Seit beinahe hundert Jahren versorgt die Familie Rossotto aus Cinzano die lokalen Weinliebhaber. Barbera, Freisa, Bonarda und der süße Malvasia werden auf den umliegenden Hügeln angebaut. Seit den 60er Jahren wird der Wein auch in Flaschen verkauft. Doch die meisten hier in der Region kaufen ihren (Rot)Wein hektoliterweise, wie meine Schwiegereltern.
Familienbetrieb
Ursprünglich war das Weingut ein ganz normaler Bauernhof im Dienste des Priesters von Cinzano. Doch 1923 pflanzte Fernando Rossotto die ersten Reben für den Eigenbedarf. Mit der Zeit wurden aber mehr und mehr der sanften Hügel um Cinzano herum mit Wein bepflanzt, und jede Generation trug etwas zum Gedeihen des Weingutes bei.
Heute führt Stefano Rossotto den Betrieb. Er hat mit seinen Weinen nationale und internationale Preise gewonnen. Der Name seines Großvaters schmückt eine Reihe der besonders beliebten klassisch piemontesischen Weine. Dazu gehört auch der Hauswein meiner Großeltern: Nonno Nando Collina Torinese, ein sechs Monate in Bariquefässern gereifter Barbera.
“Wein genießen und erleben”
“Wein genießen und erleben”, das ist Stefano Rossottos Motto. Um dies einem größeren Publikum zu ermöglichen, baute er 2007 einen Verkaufs- und Degustations-Raum. Nun können größere Gruppen dort in gemütlicher Atmosphäre mit Blick auf die Weinberge zu regionstypischen Grissini, Salame und Käse die preisgekrönten Weine probieren. Bei gutem Wetter natürlich auch Draußen.
Stefanos Söhne Federico und Matteo sind auf dem Weingut aufgewachsen, einen Fuß auf dem Trecker und einen im Traubenmost. Federico (30) hat Enologie und Matteo (27) Agrartechnik studiert. Gemeinsam gehen sie nun ein Mammutprojekt an, um das Weingut auch außerhalb der Region bekanntzumachen und für den Tourismus zu öffnen:
Agriturismo Rossotto: Piemont mit allen Sinnen genießen!
Die Familie Rossotto hat ihrem Besitz diesen Herbst einige Hektar hinzugefügt und neben Feldern eine wunderschöne alte Farm erstanden. Das Farmhaus thront am Ortsrand von Cinzano auf einem befestigten Hang und bietet rundherum eine atemberaubende Sicht auf die sanften Weinhügel.
Federico und Matteo wollen das große zweistöckige Farmhaus, mit Kastaniengarten, Gewölbekeller, Nebenhaus und Gallerie in den nächsten Jahren renovieren. Von hier aus, sollen Gäste den gesamten Piemont erleben und erkunden. Radsportlern soll die Azienda eine Verschnaufpause auf der Strecke oder ein gemütliches Ausruhen vor der nächsten Etappe bieten. Weniger sportliche Gäste dürfen auf Vespas die sanften Hügel der Umgebung erkunden und zu Wein- und Essensfesten fahren – ein Fahrservice soll auch angeboten werde, damit sich die Erlebnisreisenden voll und ganz auf den Wein konzentrieren können. Die Brüder wollen den Piemont mit all seinen Genüssen erlebbar machen, wollen Trüffeljagdten vermitteln, Weinbergtouren und sogar Weinseminare anbieten. Auch Konferenzräume sind geplant.
Die ersten Gäste sollen 2019 ihre Zimmer beziehen dürfen. Wer also seine Urlaubsplanung für in vier Jahren noch nicht gemacht hat: die Farm in Cinzano ist ein abosluter Geheimtipp.
Noch 😉
Festa della Vendemmia – nicht nur Wein trinken, sondern selber machen!
Und wer jetzt Lust bekommen hat, den Wein nicht nur zu trinken, sondern ihn auch erleben möchte, der muss nicht bis zur Eröffnung des Agriturismo wareten, sondern einfach nur bis zum nächsten September.
Der September ist sowieso die beste Reisezeit für Norditalien, insbesondere den Piemont, denn da reiht sich ein Trink- oder Schlemmfest ans andere (zum Beispiel das weltgrößte Gastro-Event Salone del Gusto in Turin, das größte Freilichtrestaurant Italiens Sagra delle Sagre in Asti, Cocco Wine in Cocconato und viele viele weitere kleine und große Feste). Zu dieser Sammlung an erlebenswerten Festen gesellt sich auch Mitte/Ende September das Weinlesefest Festa della Vendemmia auf dem Weingut Rossotto.
Auf dem Festa dell Vendemmia wird das Ende des Weinjahres gefeiert und die frisch geernteten Trauben dürfen von Kinderfüßen gestampft werden, während die Erwachsenen an den langen Holztafeln schlemmen und die Früchte der Weinberge genießen.
Leider konnten wir dieses Jahr nicht teilnehmen, aber die Autorin Chiara Caprettini war bei der Ernte dabei und hat auf ihrem sehr empfehlenswerten (italienischsprachigen) Food-Blog Nord Food Ovest Est darüber berichtet.
Nächstes Jahr sind aber auch wir dabei! Mit den Füßen im Most! Und um mich schonmal darauf einzustimmen schaue ich mir 1x die Woche das hier an…und übe den Celentano-Hüftschwung ♥♥♥:
3 Comments
Ich hoffe das das nächste Jahr können Sie kommen. Es war wirklich etwas wunderbar und die Familie Rossotto ist so gemütlich 😉
Danke! Wir haben uns nur knapp verpasst :). Am Tag vor der Weinernte waren wir da um Wein zu kaufen und mit Stefano Rossotto einen Termin auszumachen. Wir sind eigentlich bei jedem Italienbesuch dort, um Wein für zuhause zu kaufen. Beim nächsten Mal können wir uns ja dort auf ein Gläschen treffen!
Schöner Artikel, selbst für jemanden, der keinen Alkohol anrührt…und verlockendes Reiseziel!
Am besten jedoch fand ich, dass die Assoziation, die automatisch in meinem Kopf einen kleinen Film abspielte, als ich über Weintrauben stampfende Kinder las, 100% deckungsgleich war mit dem kleinen Video am Ende! Ich habe es schon sooo oft gesehen, konnte aber nicht anders, als es direkt noch einmal anzuschauen…sooo gut und so schlecht zugleich, dass ich jedesmal glucksen muss! 🙂