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Jan Weiler “Maria ihm schmeckt’s nicht”

1. February 2017
Buch Maria ihm schmeckt's nicht Autor Jan Weiler angerichtet auf Pastateller

Jan Weiler seziert die Marotten seiner angeheirateten italienischen Familie mit den Augen eines ebenso marottenbehafteten Deutschen. Sein Buch trieft vor Herz und Verstand und wurde ein genregründender Bestseller. 

Die Mutter aller Italienromane

Jan Weilers “Maria ihm schmeckt’s nicht” ist die Mutter aller leichten Italienromane. Dieses Buch hatte ich schon vor meiner Italienisierung mit Spaß (und leichter Befremdung) gelesen. Als es dann auch noch mit Herrn Lehmann, äh, Christian Ulmen und Lino Banfi (!!!) verfilm wurde, saß ich im Kino und habe – noch unwissend – mitgelacht.

Und als ich dann Herrn Pizzawürstel zum ersten Mal ernsthaft einen Film anschaute – ersthaftes Filmanschauen ist ja erst nach ein paar Wochen mit dem neuen Glück machbar, vorher ist DVD-Schauen oder ins Kino-Gehen ja nur eine Ausrede für hemmungsloses Rumknutschen im Dunkeln – lief (na?) natürlich „Maria ihm schmeckt’s nicht“. Und Herr Pizzawürstel sagte mit ernstem Gesichtsausdruck während meiner Lachtiraden:

„Ja, noch lachst du. Aber warte mal ab, bis du meine Familie triffst…“

 

Jan Weiler: Ethnologe in Süditalien

Jan Weiler hat also eine Halb-Italienerin geheiratet. Doch eine Halb-Italienerin kommt nicht alleine. Quasi mitgeheiratet hat er auch seinen schrulligen Schwiegervater, den nach Deutschland emigrierten Antonio Marcipane und die gesamte in Kalabrien verbliebene Sippschaft. Die muss natürlich besucht werden, um den Deutschen vorzustellen und die Hochzeit abzuhalten. Jan Weiler wird also nach Kalabrien katapultiert und dort, in der Fremde, leidet er. Er leidet unter allem, was den Deutschen an Italien so gefällt – wenn man es denn nach einem schönen Urlaub wieder hinter sich lassen kann, um in das geordnete und etwas graue Deutschland zurückzukehren.  Jan Weiler leidet unter den italienischen Betten die weich sind wie ein Hühnerhintern, er leidet unter den ewig lärmenden Italienern die einem Rosenmontags-Umzug gleich mit zwei Kubikmetern Gummigetier und Proviant an den Strand ziehen, er leidet unter der Hitze, dem süßen Nichtstun und dem ewigen Gefresse.

Doch das Leiden des Autors ist ein Genuß: mit der Präzision eines Ethnologen beschreibt Jan Weiler  “sein” neues Volk und aus jedem Satz spricht eine große Liebe zu den Italienern im Allgemeinen und seiner Familie im Besonderen. Wobei die überraschendste Liebe die zu seinem Schwiegervater Antonio ist. Denn der ist neben dem Autor und dessen Abenteuer unter Italienern der eigentliche Protagonist. Antonio Marcipane kam als Gastarbeiter nach Deutschland. Den Daheimgebliebenen entfremdete er sich, doch in Deutschland blieb er immer nur Fremde. Im Laufe eines gemeinsamen Italienaufenthalts erzählt Antonio dem Schwiegersohn seine Lebensgeschichte. Eine Geschichte vom Ankommenwollen aber nicht Gelassen-Werden.  Eine Geschichte vom Fremdsein und davon, wie man dies aushalten kann: man wird halt seltsam. Jan Weiler hat seinem Schwiegervater mit diesem Buch ein herzliches und herzzerreissendes Denkmal gesetzt.

Die Geburt eines neue Genre

“Maria ihm schmeckt’s nicht” war ein großer Erfolg und wurde zum Grundstein eines neuen Romangenres. Denn Jan Weiler ist nicht der einzige Journalist, der eine Italienerin geheiratet hat. Wahrhaftig wimmelt es von deutschen Journalisten, die Italiener heiraten. Und so trat “Maria ihm schmeckt’s nicht” eine Welle von Romanen los, die ich gerne als DEPIK-Romane bezeichnet: Deutsche Partner von Italienern verbreiten Klischees.

Bücherstapel deutscher Autoren, die über ihre angeheiratete italienische Familie schreiben

Deutsche Journalisten heiraten Italienerinnen und schreiben darüber. Und die Frauen? Gibt es auch: “Der Italiener an meiner Seite” von Petra Reski fehlt hier…

Und da ich mir ja dann tatsächlich noch vor meinem Journalistikstudium meinen eigenen Italiener geschnappt habe, sammle ich seit Langem DEPIKs. Nun, da ich mich auch in die Reihen der DEPIKs blogge – was liegt da näher, als die anderen zu bekritteln. Dies ist also der Auftakt einer laaaaangen Reihe von DEPIK-Rezensionen.

Schnuppertext

Nun eine kleine Auswahl meiner Lieblingsstellen. Warum gerade diese Stellen? Weil Jan Weiler hier sein ethnologisches Können zur Schau stellt. Er schildert deutsche Gepflogenheiten, in denen wir uns peinlich berührt wiederfinden, betrachtet erstaunt das Herzstück der fremden Identität: die Liebe der Italiener zum Essen, demontiert dabei das Klischee der gesunden Mittelmeerküche, gewährt Einsicht in das fremde Brauchtum und enttarnt die in Deutschland romantisch verklärte “italienische Hochzeit” als Massen-Mast-Event, bei dem sich der gesellschaftliche Status mit der Zahl der servierten Gänge erkauft wird. Was für ein Lesespaß!

Zunächst ein paar ethnologische Fingerübungen am eigenen Volk: Die Deutschen und wie sie leben. (Seite 13ff, der erste Besuch bei den zukünftigen Schwiegereltern,)

 “Das Haus der Marcipanes unterscheidet sich in nichts von jenen etwa acht Millionen Reihenhäusern, die es sonst noch überall in Deutschland gibt. […] Den Grad der Bürgerlichkeit der Bewohner vermag der geübte Reihenhausbesucher an Geländern und Stufen abzulesen. Sind diese zu Beispiel von matter schmiedeeiserner Eleganz, so hat man es fast immer mit Volksmusikfreunden zu tun, während die ungehemmte Verwendung von astlochreichen Holzsorten unschwer auf Pädagogen schließen lässt.”

Die Deutschen und wie sie sich mit anderen Völkern arrangieren:

“Das Frühstück ist übrigens ziemlich unitalienisch, will sagen, reichhaltig. Schließlich wohnt Antonio seit über dreißig Jahren in Deutschland und weiß ein Käsebrötchen am Morgen durchaus zu schätzen. Außerdem ist er mit einer Deutschen verheiratet. Es gibt nicht viele Bereiche im Leben der beiden, in der sie eindeutig die Regeln festlegt. Zumindest beim Frühstück scheint das absolut der Fall. Es gibt allerdings Espresso, da hat er sich durchgesetzt. Diese Verschränkung von Lebensgewohnheiten ist wie das Bild von Neapel und der Holzteller im Flur, nämlich der Versuch, Mentalitätsunterschiede durch gemeinschaftlich begangene Verbrechen am guten Geschmack zu überwinden. Ich glaube so ist Europa.”

Uhr Wer Bier trinkt hilft der Landwirtschaft Bild Adreano Celentano Pasta

Deutsch-italienische Deko im Hause Pizzawürstel: Die Uhr erinnert an regelmäßiges Biertrinken, während Adriano Celentano über dem Küchentisch aufpasst, dass auch ja genug Pasta gegessen wird.

[Dieser Abschnitt gefällt mir besonders gut.  Denn ich bin neidisch auf Frau Marcipane, dass sie ein deutsches Frühstück durchsetzen konnte. Denn so weit sind wir leider noch nicht. Und dann geht mir das Herz auf bei der Beschreibung der deutsch-italienischen Deko der Familie Marcipane. Warum? Darum ⇒⇒⇒⇒⇒]

Die Italiener aus Sicht des Deutschen: Ein Volk frönt der Völlerei (Seite 49):

 “Was die Ernährung angeht, so ist es ein absolutes Wunder, dass dieses Land noch existiert, weil seine Bewohner eigentlich längst tot sein müssten. Sie ernähren sich nämlich fast ausschließlich von Kohlenhydraten. Man beginnt morgens mit einem kleinen cornetto zum Kaffee, also einem Croissant. […] Zwischendurch verschlingen Italiener mehrmals am Tag […] ein Weißbrotsandwich mit Mayonnaise und allerlei Zutaten. Mittags gibt es unbedingt Nudeln, manchmal Pizza, oft sogar beides. Abends dasselbe und immer weißes, ziemlich trockenes Brot dazu.”

Ja! Ich frage mich auch, warum alle immer von der wahnsinnig gesunden Mittelmeerdiät reden, wenn die Italiener sich 24/7 Brot und Pasta ins Gesicht stellen und das alles mit Wein und Kaffee runterspülen. Allerdings hat Jan Weiler da etwas falsch verstanden. Es kann absolut nicht sein, dass Brot zu Pasta gegessen wird. Denn, glaubt man meinem Mann, lautet das verschollene elfte biblische Gebot: DU SOLLST KEIN BROT ESSEN MIT REIS, PASTA UND PIZZA.

So sehr das italienische Essen uns Deutsche auch fasziniert, so schwer ist es auch, sich dem italienischen Ess-Regime zu unterstellen. Die größten Kämpfe im Hause Pizzawürstel gab es ums Essen: Zweimal täglich warm essen VS Abendbrot hat kalt zu sein! Viermal wöchentlich pasta vs Mama-Miracoli-Donnerstag reicht völlig. Weissbrot VS Schwarzbrot. Und natürlich “Du kannst doch kein Brot mit der Pasta essen!” und “Auf Meeresfrüchte-Pasta kommt kein Parmesan!!!!” sowie “Ich weigere mich Ananas auf die Pizza zu tun!”

Und nun bleibt neben dem Essen noch das andere uritalienische Klischee: die Liebe. In folgendem Abschnitt demaskiert Jan Weiler die Italienische Hochzeit (S102):

“Eine italienische Hochzeit gleicht einer sozialen Leistungsschau. Lange Tischreden vermeidend, geht es eigentlich nur darum , den Gästen zu beweisen, dass man genug Moos an den Füßen hat, um einhundertfünfzig Personen so satt zu machen, dass diese nicht mehr geradeaus laufen können. Es wird gegessen, gegessen und gegessen, zwölf Stunden lang. […] Eine gute Hochzeit unterscheidet sich hierzulande von einer schlechten eigentlich nur durch die Anzahl der Essensgänge.”

Dazu kann ich nur sagen: Wir haben in Italien geheiratet. Mit 120 Gästen. Und die aufwendigste Vorbereitung war die Essensplanung. Beziehungsweise die Diskussion mit den Schwiegereltern, ob es denn wirklich sechs Antipasti sein müssen, oder ob es auch “nur” fünf tun. Nach dem offenen Käse-und-Schinken-Büffet. Und vor dem ersten Primo, dem zweiten Primo, dem Secondo und dem Nachtisch. Und der Hochzeitstorte.

Also: Unbedingt lesen!

Wer jetzt nach diesen Lesehappen Appetit auf mehr Klischees und Einsichten bekommen hat, der sollte sich das Buch besorgen. Man braucht auch keinen eigenen Italiener daheim, um es zu genießen. Die übliche Italienisierung (ein paar Italienurlaube, ein paar Restaurantbesuche, einen Adriano Celentano-Song im Ohr und ein paar Berlusconi-Geschichten im Hinterkopf) reichen völlig aus!

Viel Spaß und guten Appetit wünscht

Frau Pizzawüstel

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